Flora und Vegetation in den NWR Mörderhäufel und Stuttpferch – ein Vergleich auch zum benachbarten Wirtschaftswald
Universität Göttingen, Abt. Waldbau & Waldökologie der gemäßigten Zonen; Az.: Gö 02/2019
Zielsetzung:
Die beiden im sog. nassen Bienwald auf grundwassergeprägten Standorten ausgewiesen Naturwaldreservate (NWR) „Mörderhäufel“ und „Stuttpferch“ wurden bereits in den 60er und 70er Jahren des 20. Jh. ausgewiesen. Die mischbaumartenreichen Stieleichen-Hainbuchen- und Eichen-Buchenwälder wurden zusammen mit zwei weiterhin bewirtschafteten Vergleichsflächen (VFL) „Pörbelsee“ und „Köppel“ vegetationskundlich charakterisiert.
Methode:
Die Vegetation wurde auf insgesamt 90 400 m² großen Aufnahmeflächen erfasst: Im NWR Mörderhäufel lagen 28 Aufnahmeflächen im Zaun und 15 außerhalb, im NWR Stuttpferch waren es 11 bzw. 12. In den beiden Wirtschaftswäldern befanden sich jeweils 12 ungezäunt.
In diesen 400 m²-Aufnahmeflächen wurden im Juli 2019 Vegetationsaufnahmen durchgeführt. Eine Erfassung von Frühjahrsgeophyten erfolgte Ende April 2019. Getrennt nach Baum-, Strauch-, Kraut- und Moosschicht wurden die Deckungsgrade der unterschiedlichen Vegetationsschichten und einzelner Arten innerhalb dieser Schichten erfasst. Die Baumschicht umfasste alle Gehölze mit einer Wuchshöhe über 5 m (Baumschicht 1 > 20 m, Baumschicht 2 zwischen 5 und 20 m Höhe), die Strauchschicht alle Gehölze zwischen 0,5 und 5 m Höhe und die Krautschicht alle Gehölze = 0,5 m sowie alle nicht verholzenden Pflanzen. Zur Moosschicht wurden alle bodenbewohnenden Moose gezählt. Die Schätzung der Deckungsgrade der Schichten und einzelnen Arten erfolgte direkt in Prozent (<1, 1, 2, 3, 4, 5, 10, 15, 20, ..., 95, 100 %). Für Arten mit Deckungsgraden < 1 % wurden nach der Skala von Braun-Blanquet + (unter 1 %, aber mit mehreren Individuen) und r (ein, eher schwach ausgeprägtes Individuum) vergeben. Diese Kategorien wurden für die anschließende Auswertung in die Werte 0,5 und 0,1 transformiert.
Ergebnisse:
Die Baumschicht ist im NWR Mörderhäufel mit über 80 % mittlerer Deckung höher als im Wirtschaftswald; beim NWR Stuttpferch ist das wegen früherer Schwammspinnerkalamität und dem folgenden Absterben vieler Bäume anders, hier sind die Deckungsgrade der Baumschicht im Paarvergleich ähnlich hoch. Die mittleren Artenzahlen der Krautschicht sind daher im Stuttpferch höher als im Mörderhäufel. Ordnet man diese dem Grad ihrer Waldbindung zu, so finden sich im Mörderhäufel mit über 50 % Arten der geschlossenen Wälder, im Stuttpferch und den Wirtschaftswaldflächen sind es nur knapp 30 %. Außerdem sind nur dort zu 10 bis 20 % auch Arten des Offenlandes beteiligt
Interessant ist, dass sich trotz seit Jahren defekter Zäune bei beiden NWR noch der Zauneffekt durch höhere Artenzahlen gegenüber ungezäunt belegen lässt.
Die Zeigerwertauswertungen weisen auf eine enorm hohe Heterogenität der Standortsfaktoren, insbesondere bezüglich der Feuchte, des Lichtes und der Reaktionszahlen auf den einzelnen Flächen hin.
Die Berechnung der floristischen Ähnlichkeit der Vegetationsaufnahmen zeigt deutliche Unterschiede zwischen den beiden NWR, die v. a. auf höhere Feuchte- und Lichtzahlen im Stuttpferch zurückzuführen sind. Für die floristischen Unterschiede sind insbesondere Carex acutiformis, Galium palustre und Juncus effusus verantwortlich.
Die Baumschicht der untersuchten Flächenvarianten war durch die unterschiedlichen Dominanzverhältnisse von Schwarz-Erle, Hainbuche, Flatter-Ulme, Buche und Stiel-Eiche geprägt. Während die Schwarz-Erle verstärkt in den beiden NWR auftrat, hatte in der Vergleichsfläche zum Mörderhäufel die Buche, in der zum Stuttpferch die Stiel-Eiche die höchsten Deckungsgrade aufzuweisen.
Insgesamt wurden im Mörderhäufel 162, in seiner Vergleichsfläche 147 Gefäßpflanzenarten kartiert, im Stuttpferch waren es wegen der kleineren Flächengröße 101 bzw. 112.
Aktuell zeigte sich der Einfluss des Schalenwildes vor allem durch die hohe Wühltätigkeit der Wildschweine in der nicht umzäunten Teilfläche des NWR Mörderhäufel. Als Folge der fast flächendeckenden Bodenstörung und anschließenden Austrocknung im Sommer waren diese Flächen am artenärmsten. Allerdings deuten die Unterschiede in den Artenzahlen der Baumschicht zwischen den Zäunungsvarianten auch auf einen langfristigen Effekt des früheren Wildausschlusses hin. Die Baumschicht-Artenzahlen waren in beiden NWR in den umzäunten Flächen im Mittel am höchsten, auch wenn der Unterschied nur zum entsprechenden Vergleichsbestand signifikant war.
Vereinzelt konnten sich gebietsfremde Baumarten (Picea abies, Larix decidua, Pinus strobus, Pseudotsuga menziesii und Quercus rubra) auch in den Kernflächen etablieren, aber nur mit einem sehr geringen Anteil am Deckungsgrad. In allen vier Teilgebieten fand sich die Spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina), die als invasiv gilt. Die Amerikanische Kermesbeere (Phytolacca americana), die ebenfalls als invasiv einzustufen ist, trat bisher nur in den bewirtschafteten Vergleichsbeständen auf.
In beiden NWR scheint sich die Buche auszubreiten, während sich die Stiel-Eiche in der Verjüngung nicht etablieren kann. Während die Buche möglicherweise auf einen sich ändernden Wasserhaushalt und trockener werdende Verhältnisse auch im Zuge des Klimawandels reagiert, lässt sich die fehlende Verjüngung der lichtliebenden Stiel-Eiche auf ihre Konkurrenzschwäche gegenüber der schattentoleranten Hainbuche und Buche sowie ihrer Empfindlichkeit gegenüber dem Wildverbiss zurückführen. Auch in den Wirtschaftswäldern konnte sich die Eiche nicht erfolgreich verjüngen, so dass für ihren Erhalt im Wirtschaftswald des Bienwalds großflächige Pflanzungen in Betracht gezogen werden müssen.